Montag, 20. Februar 2012

Philosophie am Montag

Der Februar ist der beste Monat in Melbourne. Das liegt zu einem grossen Teil an den genialen Gratiskonzerten des Sinfonieorchesters.

*****************
Bitte nicht wegklicken, dieser Artikel handelt nicht vor allem vom Sinfonieorchester, das ihr alle schon in- und auswendig kennt. Dank meiner Posts.

Bitte, bitte, gern geschehen ; ).

Obwohl, ein bisschen geht es schon um's Sinfonieorchester.

*****************

Wir sassen also am Samstag wieder neben rüstigen Grossmüttern, die auf Picknickdecken lagen und ahnungslosen Grossvätern einen Mund voll Sandwich wegschnappten, Teenagern, die zu Weihnachten ihre ersten ins Gras steckbaren Weinglashalter geschenkt bekommen hatten und Patchworkfamilien mit verschiedenen Sorten von Kindern in verschiedenen Alterskategorien.

DSC_0708

Interessant war aber nicht nur das Publikum, sondern, um den Bogen zur Philosophie zu schlagen, die unterschiedliche Rezeption von Musik. Und das kommt so: Ich sitze neben Jonas. Man kann also davon ausgehen, dass wir in den Genuss desselben Hörerlebnisses kommen. Wir diskutieren, wie man das so tut, in der Pause über das Gehörte. Und hier fängt es an: Während ich quasi die Klangwolke ganzheitlich auf mich einwirken lasse, machmal konzentriert, manchmal mit eher abschweifenden Gedanken, lauscht Jonas analytisch, kann Details wiedergeben, Themen vorsummen, Takt und Taktwechsel besprechen, hat Unstimmigkeiten in Intonation oder Rhythmik herausgehört (ich begebe mich hier gerade auf dünnes Eis, indem ich beschreibe, was ich selber eben nicht höre) und vieles mehr.

Obwohl ich mir das immer sehr anstrengend vorstelle, auf so viele Details zu hören, bin ich ein bisschen neidisch. Es ist keine Frage der Aufmerksamkeit, dass ich so vieles nicht oder anders höre, sondern eine Frage der Musikalität und Vorbildung.

DSC_0697

Während ich immer viel und oft gesungen habe, habe ich nie ein Instrument richtig spielen gelernt und wohl auch oft in Musik nicht besonders gut aufgepasst. Do-re-mi-fa-so-la-ti-do? Stiiiimmmt, das haben wir mal gemacht! Da gab es doch diese Handzeichen dazu!? Als aber die Leiterin einer Musikweiterbildung vor zwei Wochen von Solfège sprach, war ich erst einmal aufgeschmissen, bin schnell nach Hause geradelt und habe das neue, aufregende Wort mit meinem Mann für alles Musikalische besprochen. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich den Begriff hier nicht erklären. Und zwar aus Rücksicht auf euch und auf mich. Oh, Moment, ihr kennt den natürlich alle?!? Never mind...

DSC_0695

Es hat mich wieder einmal gepackt in dieser Weiterbildung: Ich möchte musikalischer werden. Singen hat mich immer mehr interessiert als wirklich ein Instrument zu lernen, und heck, das ist doch auch ok. Ich will nicht unbedingt Musik machen, ich will musikalischer werden. Obwohl, ich muss sagen, die Blockflöten sind hier ab und zu in Gebrauch.

So, und wo ist jetzt der philosophische Teil? Ich kriege heute die Kurve nicht ganz. Vielleicht liegt das daran, dass sie eine weit hergeholte ist. Hier kommt sie:

Musikalität ist eine Sprache. Was ich beim Konzert nicht benennen kann, wofür ich keine Worte habe, das nehme ich auch nicht wahr. Deshalb die Klangwolke.

DSC_1068

Ich habe versucht, mir diesen Sachverhalt mit einem Beispiel zu erklären, das mir näher liegt. Es ist allerdings ein Beispiel, das ich mir hier einfach so ausdenke, für das ich keine wissenschaftliche Grundlage habe. Und das deshalb möglicherweise nicht korrekt ist.

Kinder in der ersten Klasse lernen Wörter für Gefühle. Erst wenn sie diese Wörter kennen, können sie ihre eigenen Gefühle wahrnehmen. Bevor wir als Kinder Worte für Gefühle hatten, müssen sich Gefühle so etwa wie eine uns umhüllende Wolke angefühlt haben. Wie etwas, das zwar da ist, aber das wir nicht bemerken. Erst Sprache, Worte, ermöglichen es uns, ein Gefühl wahrzunehmen, anzusprechen. Wir brauchen die sprachliche Definition, um sie dem Gefühl, das unfassbar ist wie eine Wolke, quasi überstülpen zu können. Während bei diesem Prozess etwas vom Gefühl verloren geht, Sprache ist nicht Abbild, sondern Vereinfachung, gewinnen wir auch etwas: Das Benennen gibt uns überhaupt erst die Möglichkeit, das Gefühl wahrzunehmen, und danach, es mitzuteilen. Geteilte Traurigkeit ist halbe Traurigkeit. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Aber das führt jetzt bereits wieder etwas weit.

DSC_1065

Worauf ich hinaus will, ist, dass Sprache nicht einfach etwas Sekundäres ist, das alles beschreibt, was schon da ist, sondern das sie im Gegenteil konstituierend wirkt, dass vieles erst erkennbar ist, wenn wir eine Sprache dafür entwickeln. Und deshalb habe ich beschossen, meine Musiksprache weiterzuentwickeln. Zum einen, weil sich das als Musiklehrerin so gehört, zum anderen, weil es mir wirklich den Ärmel reingenommen hat. Nächsten Donnerstag geht es los: Ich treffe mich mit einer Lehrerkollegin und wir arbeiten ein Lehrwerk durch: Musik fachfremd unterrichten.

DSC_1054

Flora und Fauna? Kangaroo Island, Cape du Couedic

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen